Gleichgewicht

Verlängertes Wochenende das x-te. Während ich früher diese Monate in der Mitte des Jahres geliebt habe, in denen fast jede zweite / dritte Woche ein verlängertes Wochenende im Kalender Pause vom Alltagstrott versprach, bedeuten diese Tage heute für mich: vierzehn anstatt zehn Stunden-Tag, die kostbare Zeit, die ich in fünf Tagen der Wochen mit mir verbringen darf entfällt fast erstsatzlos. Während die Einen also wirklich frei haben, habe ich während diesen langen Wochenenden sozusagen Urlaubssperre. Nein, vielmehr „Ego-Sperre“, stets Ansprechpartnerin und Verantwortliche für die Familie.

Früher hätte ich an so einem viel zu kühlen und regnerischen Feiertagsmorgen im Juni freudig jeden Windstoß, jeden Regentropfen dankbar begrüßt und ein erleichtertes und zufriedenes „Danke“ gen Universum, Petrus (oder wer auch immer Einfluss auf das Wetter hat) geschickt. Danke, für die Legitimation den Tag im Bett verbringen zu dürfen! hätte ich geflüstert, mich mit einem Buch und viel Kaffee unter einer Wolldecke verkrochen und die Welt einfach kalt und grau sein lassen.

Diese Tage geballter Viersamkeit sind mir ein Graus. Und noch während ich das so ehrlich ausschreibe und ergänze „mir fehlt die Zeit für mich“, meldet sich prompt und bereits erwartet dieses merkwürdige Wesen in mir aus dem Off, das stets bei solchen Empfindungen lauthals zu meckern beginnt und irgendwelche Knöpfe im Hirn bedient, die wohl für das Gewissen zuständig sein müssen. „Egoistin! Egozentrikerin!“ wettert es (und ich meine, es verpasst mir sogar kurze Schläge vor den Hinterkopf) „Sei dankbar und zufrieden mit dem was du hast. Kinder sind das Glück auf Erden! Du hast das doch so gewollt. Du wirst ja wohl für die paar Tage die Arschbacken zusammenkneifen können und dich mal hinten anstellen.“
„Kann ich. Prima sogar. Muss ich auch. Aber will ich nicht mehr.“ weise ich dieses Brain-Rumpelstielzchen dann in seine Schranken. Manchmal versuche ich, diesem Giftzwerg im Kopf ein Gesicht zu geben weil ich gerne weiß, mit wem ich es zu tun habe. Einmal bekommt es Züge meiner Mutter, dann sehe ich Phantombilder anderer Frauen, die meinen Lebensweg irgendwo einmal gekreuzt haben müssen, doch im Grunde kann ich die Ähnlichkeit zu meinem Spiegelbild nie ganz verleugnen.

In „Bitterfotze“ von Maria Sveland (das ich in den letzten Wochen irgendwann ausgelesen und zu meiner persönlichen Bibel erklärt habe) gibt es einen Moment - der eigentlich genauso wütend, nachdenklich und ernst gemeint ist, wie alles in diesem Buch - der mich lauthals zum Lachen brachte (und das passiert viel zu selten in den letzten Jahren): Stellen Sie sich eine Mutter eines Krabbelkindes vor. Übermüdet, ausgelaugt von ihrer Dreifachbelastung perfekte Mutter - perfekte Frau - perfekte Journalistin. Sie geht (wie sich das für eine Mutter gehört, die nur das Beste für ihr Kind möchte) mit ihrem Baby zu einer Krabbelgruppe und als sie sieht, wie ihr Kind zufrieden und alleine zwischen den Anderen spielt und krabbelt, nimmt sie auf einem Sofa im Raum Platz und liest Zeitung.
Nicht lustig? Dann haben sie keine Kinder. Haben Sie Kinder wissen Sie, was nun passiert und dass die Protagonistin wohl in einem der worstcase Fettnäpfchen überhaupt ausgerutscht ist. Haben Sie Kinder, kennen Sie diese Blicke, wenn Sie es sich herausnehmen, solch wichtige, als Qualitätszeit mit dem Kind propagierte Momente für sich selbst zu nutzen. Oder Sie sind selbst Meisterin des "No-go!-Face." Im Idealfall halten Sie dabei die gerümpfte Nase sogar ein weniger höher als sonst.

Ich war mal so eine No-go-Face-Meisterin. Weil ich es von mir selbst erwartet habe, mich voll und ganz für meine Kinder hinten anzustellen, habe ich es auch anderen Frauen nicht zugestehen können, „Ich“ sagen zu dürfen.
Die Unzufriedenheit, die Erschöpfungszustände und immer länger andauernden depressiven Verstimmungen dachte ich, wären lediglich ein Zeichen meiner Unfähigkeit mit diesem neuen Leben ohne mich klarzukommen. „Arschbacken zusammen“ war meine Devise. Selbstaufgabe gehört zum Mutterdasein dazu, war ich mir sicher. Und noch heute wüsste ich nicht, wie es anders hätte funktionieren sollen die ersten Jahre.

Vielleicht geht es Frauen anders, die vor dem Mutterwerden schon so gefestigt und sicher in sich selbst Ruhen, dass sie diese Selbstaufgabe für die Neudefinition ihres Lebens nicht brauchen. Ich persönlich hätte mich rückwirkend betrachtet nicht an die Bedürfnisse und die Verantwortung für das neue Menschenleben anpassen können, ohne bei Null anzufangen. Oder anders gesagt: Ich hätte meinen Ansprüchen, meinen Vorstellungen nicht genügen können, was ich diesem Kind vom ersten Atemzug an geben möchte. Ein Zwischending zwischen „Selbstaufgabe“ und „Ich“ habe ich nicht umsetzen können. Gleichgewicht war noch nie meine Stärke.

Ich kann ohne die Extreme gesehen und gefühlt zu haben, die Mitte nicht finden.
Letztes Jahr, in meiner Mutter-Kind-Kur auf Rügen, völlig abgeschnitten vom Alltag, gezwungen, mich um mich selbst und gleichzeitig um zwei heimwehgeplagte Kleinkinder zu kümmern, lernte ich mit großem Erstaunen wie viele wir sind. Wie viele von uns Indikation „Burn out“ in ihren Kuranträgen stehen hatten. Und das nicht, weil die Kasse den Jahresurlaub sponsern sollte, sondern weil wir tatsächlich ausgebrannt waren und uns selbst zerfleischten, wenn wir das Wort „Ich“ nur dachten.
So traurig das ist, alleine die Tatsache dass es so viele Frauen gibt die sich selbst verlieren wenn sie Kinder bekommen, hat mich ein wenig heilen können. Denn dann ist es nicht meine Unfähigkeit zu leben, Mutter zu sein. Dann muss es andere Gründe geben, Gründe, die sich herausfinden lassen und die mir die Chance geben an mir und meinem Leben etwas zu ändern.

Nachwievor fällt es mir schwer, die Mitte zu finden. Und gerade zur Zeit, in einer Phase, in der ich wieder weit über meine Grenzen muss um den Laden hier am Laufen zu halten, spüre ich, wie sehr mir die wenige Zeit mit mir selbst fehlt. Immerhin kann ich heute sagen, dass ich Zeit und Raum für mich brauche, der Wunsch nach Selbstverwirklichung Teil meines Lebens ist und bleiben wird, ohne mich als liebevolle, liebende, sorgende und verantwortungsvolle Mutter in Frage zu stellen.

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kims gezwitscher

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