Spuren

Freitag, 15. Mai 2009

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Manchmal, wenn ich ein Foto von mir betrachte, erwische ich mich dabei wie ich nach Ähnlichkeiten mit dieser Frau auf dem Passfoto suche, dessen Abbild sich vor Jahren irgendwo in einer Erinnerungszelle eingebrannt hat.
Dieses Passfoto war mein Glashaus das ich mir gewünscht hatte, seitdem ich das erste Mal gefragt wurde: "Willst du deine leibliche Mutter denn irgendwann mal kennenlernen?" Ein Glashaus, dachte ich, in das ich hinein aber sie nicht hinaus schauen kann, würde mir den Weg offen halten einfach wieder zu gehen ohne sie zu verletzen oder zu enttäuschen. Ich wollte einfach nur sehen, ob sie mir ähnlich ist und dann gehen oder auch bleiben dürfen.

So wirklich und auf Anhieb verstanden hat das niemand. "Du musst doch Fragen haben? Warum sie dich nicht wollte, welche Umstände eine Rolle gespielt haben?!" Nein, es gab keine Fragen die die Zeit nicht schon allein beantwortet hätte. Ich mein, 1978 mit zwanzig Jahren ohne feste Partnerschaft schwanger zu werden erklärt so vieles von allein. Und ob diese Schwangerschaft nun gewaltsam entstand, ein One-night-Stand war oder sonstige Tragödien eine Rolle gespielt haben ist für mein persönliches Leben irrelevant. Adoptiert zu sein ist eben nicht "Lass dich überraschen" oder "Bärbel Schäfer", nicht zwingend voller Vorwürfe, Fragen und tränenreicher Wiedersehensfreude. Ich wollte einfach nur einmal jemandem ähnlich sein. Ganz oberflächlich sehen, ob ich ihre Augen habe. Oder die Haare. Vielleicht die Statur.

Vor ca. neun Jahren fand ich sie, bekam einen Brief in roter, kindlicher Handschrift und dieses Passbild, um das ich sie gebeten hatte. Es fiel aus dem gefalteten Kästchenpapier, das sie sicherlich bei einem ihrer Söhne aus dem Schulheft gerissen hatte, mit der Bildseite nach unten auf meinen PVC-Boden. Und als ich mich bückte, es umdrehte und in ihr Gesicht sah, fing ich zeitgleich an zu heulen und so hysterisch zu lachen, dass ich doch ganz gut in eine dieser Talk-Shows gepasst hätte. Drama, Baby, Drama.

Ich hab ihre Augen. Ausgerechnet ihre Augen. Und als ich sie später ein einziges Mal traf, erzählte sie mir sie habe mein Foto Freunden gezeigt und die hätten festgestellt, wie ähnlich doch unsere Figuren sein - "unverkennbar deine Tochter!" haben sie wohl gesagt.

Seitdem sehe ich jedes Mal wenn ich ein Bild von mir sehe auch sie. Sehe das vom Alkohol aufgedunsene Gesicht, ihren gedrungenen, schwitzenden Körper, der sich zum Stuhl an unseren Esstisch schiebt, rieche ihre Fahne und höre sie mit rauher Stimme erzählen. Von sich, von ihrem Leben, in dem der Alkohol eine Rolle spiele, weil sie nie darüber hinweggekommen sei, mich weggeben zu haben. Direkt aus ihrem Bauch heraus, ohne mich nur einmal zu Gesicht zu bekommen. Höre ihren Neid, dass es mir soviel besser geht als ihr, dass meine beiden Halbbrüder mit ihr und ihrem kranken Mann nur halb so viel Wohnraum hätten wie ich mit meinem Freund. Und sehe immer wieder ihre Augen. So leer, so hart, so weit weg.

Ich hab sie gesucht, weil ich dem Gerede geglaubt habe, es wäre wichtig meine Wurzeln zu finden. Dass die Möglichkeit besteht die eigenen Wurzeln zu verlieren hatte ich nicht bedacht.

Samstag, 2. Mai 2009

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Würde jemand fragen, was so meine zentrale Baustelle im Leben ist, das Thema Nummer Eins, das immer mal wieder eine bedeutende Rolle spielt, würde ich wohl antworten: Einsamkeit.
Das auszusprechen ist nicht leicht, weil es die Menschen verschrecken könnte, die eigentlich sehr nah an mir dran sind. Zu sagen "ich bin einsam" ist ein bisschen so wie über Probleme beim Sex zu sprechen. Es schadet eher, als dass es hilft, baut unsichtbare Erwartungshaltungen, erzeugt Druck, letztendlich Distanz und endet wieder im eigentlichen Gefühl "das klappt nicht zwischen uns" oder eben "ich bin einsam."

Klar, Einsamkeit gehört zum Leben. Sie zu erlernen und auszuhalten ist ein wichtiger Schritt zu sich selbst. Aber sie ist eben auch nur dann konstruktiv, wenn am Ende so einer Phase ein bisschen mehr "Selbst" steht.

Ich bin jetzt 30. Und es fühlt sich so an, als ob sich dieses Lebensthema für mich so langsam aufdröselt, herauskristallisiert warum Einsamkeitsgefühle und das permanente Wissen darum nirgendwo wirklich dazuzugehören eben nicht nur Phasen sind, sondern Dauerzustand seit 30 Jahren ist. Und das, obwohl ich offensichtlich nie ein einsamer Mensch war, kommunikativ bin, Klassensprecherin war, nie Außenseiterin, immer eine handvoll wichtiger und liebenswerter Menschen an meiner Seite hatte und stets offen dafür, neue Menschen kennenzulernen.

Die aktuelle Geo Wissen beschäftigt sich mit dem Thema "Wer bin ich? - Lebenslauf-Forschung: Was die Persönlichkeit prägt."
Darin habe ich einen Satz gefunden von Petra Meibohm, 33, die in einem kurzen Text berichtet wie es für sie war mit 27 Jahren von ihrer Adoption zu erfahren.

Dieser Satz beschreibt so wunderbar den Schlüssel, den ich in den letzten Wochen gefunden habe für diese dunkle, bis dato versperrte und rätselhafte Kiste "Einsamkeit".
Sie schreibt:

Ich kenne jetzt die Ursachen für vieles, was mich jahrelang irritierte. Beispielsweise hatte ich immer das merkwürdige Gefühl, ich sei anders, als ich nach außen hin wirke - manchmal war ich deshalb im Umgang mit anderen Menschen gehemmt.
Ich erkläre mir das heute so: Meine genetischen Anlagen haben anscheinend nicht so recht zu meinen anerzogenen Eigenschaften wie Mimik und Gestik gepasst.


Petra Meibohm und mich unterscheidet, dass ich schon immer gewusst habe, dass ich "nicht in Mamas Bauch war", wie es meine Adoptivmutter mir erklärt hat, im Gegensatz zu meiner älteren Schwester und dem jüngeren Bruder. Ich weiß also seitdem ich denken kann, dass ich kein Teil dieser Familie bin, kein genetischer. Ich hab das immer als normal empfunden und sehr stark nach außen verteidigt, dass es eben nur genetisch ist, dass ich aber ansonsten sehr wohl gleichberechtigter Teil der Familie bin und die Adoption keine Rolle spielt.

Vielleicht muss ich mich dem endlich stellen, um doch irgendwann mal irgendwo dazuzugehören......

kims gezwitscher

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